Katharina starb an St. Gereon

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Anna Lettau mit einem Bild ihrer Schwester Katharina, die beim Einmarsch der Amerikaner am 6. März 1945 getötet wurde.

Anna Lettau mit einem Bild ihrer Schwester Katharina, die beim Einmarsch der Amerikaner am 6. März 1945 getötet wurde.

65 Jahre nach Kriegsende hält Anna Lettau (86) die Zeitung in der Hand, die Bilder vom Einmarsch der Amerikaner am 6. März 1945 zeigt. Darauf ist eine junge Frau zu sehen, die mit ihrem Privatwagen an der Christophstraße in das Feuergefecht zwischen amerikanische und deutsche Panzer gerät und anschließend von amerikanischen Sanitätern versorgt wird. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ fragte: Wer kennt die Frau auf diesem Bild? Anna Lettau weiß es ganz genau: „Das ist meine Schwester.“

Dass es Filmaufnahmen von den letzten Stunden ihrer Schwester gab, hatte sie nicht gewusst. Da sie und ihre beiden anderen Schwestern bei Kriegsende nicht in Köln waren, erfuhr sie erst spät von Katharinas Schicksal. Mit dem ersten Zug nach Kriegsende nach Köln zurückgekehrt, führte ihr Weg sie sofort in den Laden des Lebensmittelhändlers Hans Delling an der Sülzburgstraße. Bei ihm war Katharina Esser angestellt. Und dort erfährt sie die erste schlimme Nachricht: Am Morgen des 6. März waren die beiden mit dem Firmenauto unterwegs und gerieten in das Feuergefecht. Delling, der am Steuer saß, wurde schon von den ersten Schüssen tödlich getroffen. Was aus Katharina wurde, blieb dagegen lange unklar.

„In der ersten Zeit hatten wir noch Hoffnung, sie wiederzufinden“, berichtet Anna Lettau. Zehn Monate später gibt die Schneiderin Frieda Taisakowski bei der Polizei eine Erklärung ab, die alle Hoffnung vernichtet: „Ich habe persönlich zugesehen wie der Privatwagen von einem amerikanischen Panzer beschossen wurde. Der Besitzer wurde durch einen Kopfschuss getötet, und die Angestellte, die sich um ihren Chef bemühte, wobei sie auch angeschossen wurde und seitwärts neben das Auto fiel. Die Angestellte wurde dann von dem Panzer überfahren, so dass man nachher nur Reststücke sowie Hand, Fuß sowie einige Körperreste zu finden bekam.“

Anna Lettau: „Da darf ich gar nicht dran denken, an diesen furchtbaren Augenblick. Was sie erleiden musste, das war ganz schlimm. So ein grausamer Tod. . .“ Auch die beiden Panzerschützen Clarence Smoyer (damals 18 Jahre alt) und Gustav Schäfer (damals 19), die sich damals das Gefecht geliefert hatten,

reagierten bestürzt auf die Nachricht, denn sie hatten die Szene, die sich vor ihren Augen abspielte, nie vergessen. Der Journalist Hermann Rheindorf, der die beiden Männer aufgespürt hatte, recherchierte, was

sich nur wenige Minuten nach der Filmszene abspielte. Danach kam es dort noch einmal zu schweren Kämpfen. Rheindorf: „Ein deutscher Panzervernichtungstrupp eröffnete aus einem Haus direkt an der Christophstraße das Feuer auf die nachfolgenden

US-Fahrzeuge.“ Filmaufnahmen zeigen viele Tote in der Straße, einige davon in Uniform. Während Smoyers Panzer schon zum Dom unterwegs ist, wird ein Sherman-Panzer abgeschossen und bleibt liegen. Die anderen müssen passieren: Möglicherweise wurde Katharina dabei überfahren. Trotzdem blieb

für Anna Lettau lange eine Frage: „Wir haben immer gesagt, warum sind die nicht im Keller geblieben? Dann wäre doch schließlich gar nichts passiert.“ Diese Frage kann „Stadt-Anzeiger“-Leser Wilhelm

Clemens (82) beantworten: „Meine Eltern waren mit den Dellings befreundet und hatten sich mit ihnen verabredet, an diesem Tag in den Bunker in der Rupprechtstraße zu gehen. Aber Katharina hatte einen Freund im Rechtsrheinischen und meinte: »Lass uns schnell noch

über die Brücke fahren.«“

Die Brücke - der Gedanke an sie wird an diesem Tag nicht nur Katharina Esser und Hans Delling zum Verhängnis. Denn während die beiden im Linksrheinischen in ihren Opel P4 steigen, sind im Rechtsrheinischen Josef Heinrich Bierbaum und seine Tochter Marga mit ihrem

„Wanderer“-Pkw unterwegs zur Hohenzollernbrücke. Sie fahren über die Brücke, bevor sie am frühen Nachmittag gesprengt wird.

Was dann passiert, kennt Helmut Josef Röhrig (65), der Enkel, nur aus den Erzählungen seiner Familie: „Es hieß, dass die beiden von einem amerikanischen Panzer an St. Gereon getötet wurden. Mein Opa hatte einen glatten Durchschuss in der Brieftasche.“

Kein Propagandatrupp und kein Dokumentarfilmer haben die Szene aufgenommen, aber sie ist ein Teil der Geschichte vom 6. März 1945 genauso wie das Schicksal von Katharina Esser und Hans Delling. Sie alle wollten nur die Rheinseite wechseln, um bei Freunden und Verwandten zu sein, und sie bezahlten mit ihrem Leben. Und noch eins verbindet sie: Am Ende wurden Delling und die Bierbaums im selben Massengrab an St. Gereon beerdigt.

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