1. Nachrichten
  2. Politik
  3. Deutschland
  4. Islam in Deutschland: Professor warnt: "Wir machen aus dem Islam eine Ausländer-Religion"

Islam in Deutschland: Professor warnt: "Wir machen aus dem Islam eine Ausländer-Religion"
  • E-Mail
  • Teilen
  • Mehr
  • Twitter
  • Drucken
  • Fehler melden
    Sie haben einen Fehler gefunden?
    Bitte markieren Sie die entsprechenden Wörter im Text. Mit nur zwei Klicks melden Sie den Fehler der Redaktion.
    In der Pflanze steckt keine Gentechnik
    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
Rauf Ceyla
dpa/Friso Gentsch Islamwissenschaftler Rauf Ceylan
  • FOCUS-online-Korrespondentin

Seit dem Erstarken des radikalen Islamismus stellt man sich in Deutschland die Fragen: Wie steht es bei uns um das Miteinander von Muslimen und Nicht-Muslimen? Warum haben viele Deutsche offenbar Angst vor dem Islam? Und wie kann man verhindern, dass sich weiter junge Menschen radikalisieren? Ein Gespräch mit Prof. Rauf Ceylan, Islamwissenschaftler an der Universität Osnabrück.

FOCUS Online: Seit den Demonstrationen von Pegida und stärker noch seit den Attentaten von Paris erleben wir eine breite Debatte über den Islam. Kann so ein besseres Miteinander von Muslimen und Nicht-Muslimen entstehen?

Rauf Ceylan: Es ist noch nicht entschieden, wie sich der aktuelle Diskurs auf Otto-Normal-Muslime auswirkt. Grundsätzlich haben wir in Deutschland auch bei Muslimen einen Säkularisierungsprozess zu beobachten: Die gute wirtschaftliche Lage, soziale Sicherheit und Individualisierung führen zu einer Pluralisierung der Gesellschaft. Die muslimische Welt in Deutschland ist extrem heterogen - von der hedonistischen Szene über Umwelt-Aktivisten bis hin zu sehr konservativen Gläubigen. Trotzdem werden alle einzig über die Islam-Zugehörigkeit definiert…

FOCUS Online: Wollen Sie damit sagen, die Muslime würden regelrecht dazu gedrängt, sich mit dem Islam zu identifizieren?

Ceylan: Früher waren sie Ausländer, dann waren sie Türken, jetzt sind sie Muslime. Wir machen aus dem Islam eine Ausländer-Religion. Wir sollten nicht dahin kommen, dass sich die Menschen aus Protest religiöser oder gar radikaler geben, als sie es in Wirklichkeit sind – nach dem gleichen Motto „black is beautiful“ der kulturellen Bewegung der Afro-Amerikaner in den 1960er-Jahren als Gegenreaktion zu den Stigmatisierungen. Ich hätte mir daher gewünscht, Frau Merkel hätte den Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, vor drei, vier Jahren gesagt. Jetzt wird er wahrgenommen als hilflose Reaktion auf die Welle von rechts.

Video: So heiß diskutiert das Netz Aldis Moschee-Seife

FOCUS Online: Umfragen zeigen, dass mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung Angst vor dem Islam hat.

Ceylan: Überfremdungsängste sind rein quantitativ nicht nachvollziehbar. Gäbe es die Muslime in Deutschland nicht, gäbe es wahrscheinlich trotzdem eine Pegida – mit Ängsten vor andern Gruppen, die man ausgrenzen würde. Unsere Realität ist nicht die propagierte christlich-abendländische Kultur, sondern die Pluralität. Was wäre denn die Alternative? Kein Muslim verlangt von einem Christen, sonntags nicht in die Kirche zu gehen. Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl der Kirchenbesucher ab und die Kirchenaustritte nehmen zu. Das hat nichts mit dem Islam zu tun, sondern mit Säkularisierung. Von demselben Prozess sind auch die Moscheegemeinden betroffen.

Abgesehen davon: Wir haben 5000 Salafisten in Deutschland, davon sind rund 200 gewaltbereit. Dagegen stehen vier Millionen Muslime. Das sagt doch schon viel aus. Die Frage ist doch: Warum radikalisieren sich die einen und die anderen nicht?

FOCUS Online: Haben Sie eine Antwort?

Ceylan: Ein Problem sind die salafistischen Prediger. Bei ihnen handelt es sich überwiegend um Laien-Prediger ohne systematische Ausbildung. Wir haben überall selbsternannte Islam-Experten. Ein Moschee-Besuch und die Lektüre einer Koran-Übersetzung reichen eben nicht. Wenn dem so wäre, könnten wir hier an der Universität Osnabrück den Bachelor nach einem halben Jahr vergeben.

Außerdem ist ein Großteil der nicht radikalisierten Imame nicht hinreichend für die Jugendkultur geschult. Es gibt den Islam nicht in einer populären Jugendsprache. Es gab ihn zu lange nicht im Internet. Der Islam war nicht auf der Straße, hat keine jungen Menschen angesprochen. Ins Gefängnis wurden zur Seelsorge Imame geschickt, die die Lebenswelt der jungen Muslime hier in Deutschland nicht verstehen. Wenn denen einer gesagt hat, dass er früher gern Queen gehört hat, dachten sie wahrscheinlich an die britische Königin. Die soziokulturellen Codes waren nicht dieselben. So ist ein Vakuum entstanden. Das haben die Salafisten gefüllt. Das hat viele populäre salafistische Prediger hervorgebracht. Wir haben die Entwicklung verschlafen.

Video: Ausländer als Kanonenfutter? 400 deutsche Muslime kämpfen in Syrien

FOCUS Online: Was muss dann geschehen, um die Randgruppe der Salafisten wieder in den Hintergrund zu drängen?

Ceylan: Die muslimische Community hat den Fehler gemacht, sich nicht schon früher deutlich zu distanzieren. Man dachte halt, das sei nicht notwendig, schließlich hat man ja mit denen ohnehin nichts zu tun, wie Feuer und Wasser nicht zusammenpassen. Man hat aber nicht die Ängste der Mehrheitsgesellschaft nachvollzogen, hat nicht darauf reagiert, dass sie nicht über die Vielschichtigkeit des Islam informiert ist. Das hat sich jetzt zum Glück geändert. Die Mahnwache am Brandenburger Tor war eine starke und eindeutige Botschaft.

FOCUS Online: Doch reicht das?

Ceylan: Wir müssen die Debatten sauber trennen. Der theologische Diskurs muss bei den theologischen Fakultäten bleiben. Daneben gibt es den inter-religiösen Diskurs zwischen Katholiken, Protestanten, Juden und Muslimen. Das hat immer gut funktioniert. Was nicht klappt, ist die Kommunikation in die Bevölkerung. Diese fühlt sich nicht mitgenommen. Darum darf man das Problem des Islamismus nicht theologisieren, wie es einige Islamwissenschaftler tun. Die beiden Attentäter in Paris hätte man genauso gut mit arabisch-nationalistischen oder anti-imperialistischen Konzepten gewinnen können. Ich will damit sagen: Diese Männer waren anfällig für einen radikalen Gegendiskurs. Sie lassen sich mit vielen verschiedenen Konzepten fangen. Denn wir haben es mit gescheiterten Biographien zu tun.

FOCUS Online: Aber die Männer berufen sich nun einmal auf den Koran. Und darin gibt es Verse, die als Aufruf zu Gewalt interpretiert werden...

Ceylan: Schauen Sie auf den Koran und die umstrittenen Verse: Wenn die zwingend radikal interpretiert werden könnten, dann hätten wir 1,5 Milliarden Muslime, die diesen gewalttätigen Auslegungen folgen würden, als monolithischen Block. Das ist aber so ja nicht der Fall. Die Ursache für die heutigen Konflikte müssen auch über die Theologie bekämpft werden, aber vor allem politisch. Der Koran ist kein politisches Buch.

FOCUS Online: Das muss der Islam dann aber mit Nachdruck verdeutlichen...

Ceylan: Man kann nicht darüber hinwegsehen, dass die Ursache für viele Konflikte darin liegt, dass die Länder, in denen der Islam vorherrscht, im Wesentlichen Großreiche waren, deren Zerfall und Übergang in die Moderne nicht funktioniert hat. Die einzige funktionierende Opposition in diesen despotischen Ländern waren die islamischen Strömungen: in Ägypten beispielsweise die Muslim-Brüder. Der Islam bot den einzigen Halt. Deshalb muss man natürlich auf der einen Seite den theologischen Diskurs führen. Aber genau so muss man die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben, die Bildung verbessern und ein Klima der geistigen Denkfreiheit schaffen. Zugleich muss die westliche Außenpolitik ihren Prinzipien treu bleiben und bestimmte despotische Staaten eben nicht als Partner verstehen.

Strukturell kommen wir in Deutschland gut voran: Wir haben deutschsprachigen Islam-Unterricht in Schulen und die Ausbildung von Imamen. Es gibt eine muslimische Begabtenförderung. Die Akademikerzahlen steigen. Das ist alles gut so. Doch gleichzeitig wachsen die Ängste in der Mehrheitsgesellschaft. Das ist paradox. Das Problem liegt darin, dass wir die soziale Basis nicht geschaffen haben. Wir brauchen den Dialog in der Nachbarschaft. Ein Tag der offenen Moschee einmal im Jahr ist zwar dialogfördernd. Aber nötig ist mehr: eine Vernetzung der muslimischen Gemeinden mit Schulen, Kirchen und anderen Einrichtungen vor Ort. Außerdem brauchen wir eine Professionalisierung der Moschee-Strukturen.

Video erklärt: Darum gibt es den Irak-Konflikt

Video erklärt: Darum gibt es den Irak-Konflikt

Video erklärt: Darum gibt es den Irak-Konflikt

FOCUS Online: Was meinen Sie damit?

Ceylan: Die Moscheen sind mit einfachsten Mitteln aufgebaut. Die repräsentativen Moscheen nehmen zwar zu, aber das hat seine Grenzen. Die Mehrheit der Muslime geht in Hinterhof-Moscheen. Die sind als Vereine organisiert. Der einzige Hauptamtliche ist der Imam, der mit viel Glück ein paar hundert Euro im Monat bekommt. Die Arbeit wird in erster Linie von Ehrenamtlichen gemacht, die damit vielfach überfordert sind.

Von Salafisten, aber auch von Pegida wird ein Islambild transportiert, das mit der Realität nicht zu tun hat. Wir brauchen Information und Aufklärung. Dazu können auch die Medien einen Beitrag leisten: Die Berichterstattung über den Islam ist so gut wie nie positiv geprägt. Eine muslimische Gemeinde in Osnabrück hat am Neujahrstag eine Aufräumaktion gestartet - ohne öffentliche Wahrnehmung. Das ist anscheinend zu viel Normalität.

Martina Fietz auf Facebook
Jetzt Fan werdenFolgen Sie unserer Korrespondentin auf Facebook
Zum Thema
Die Attentate von Paris können auch eine Chance bieten

Fietz am Freitag

Die Attentate von Paris können auch eine Chance bieten

Rasanter Schlagabtausch: CDU-Vize Klöckner streitet sich mit Imam

Talk bei Illner

Rasanter Schlagabtausch: CDU-Vize Klöckner streitet sich mit Imam

AfD-Vize: Es werden 200 Jahre vergehen, bis der Islam zu Deutschland gehört

Gauland im FOCUS

AfD-Vize: Es werden 200 Jahre vergehen, bis der Islam zu Deutschland gehört

Sie waren einige Zeit inaktiv, Ihr zuletzt gelesener Artikel wurde hier für Sie gemerkt.
Zurück zum Artikel Zur Startseite
Lesen Sie auch
Nase putzen verboten! Was Urlauber in arabischen Ländern niemals tun sollten

Fünf Verhaltenstipps für Reisende

Nase putzen verboten! Was Urlauber in arabischen Ländern niemals tun sollten

Schule zeigt Müttern, wie sie ihre Kinder erreichen – bevor Islamisten es tun

Präventionsprojekt „MotherSchools“

Schule zeigt Müttern, wie sie ihre Kinder erreichen – bevor Islamisten es tun

„Was haben Sie gegen uns?“ Muslim konfrontiert Meuthen mit AfD-Aussagen

Islam-Streit in der Moschee

„Was haben Sie gegen uns?“ Muslim konfrontiert Meuthen mit AfD-Aussagen

Ich halte nichts von dem Satz, Islam und Islamismus hätten nichts miteinander zu tun

Mouhanad Khorchide im FOCUS-Online-Interview

"Ich halte nichts von dem Satz, Islam und Islamismus hätten nichts miteinander zu tun"