Essen.

Altenessen hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Doch trotz Begrünungsprogrammen und Stadtteilentwicklung steht der Stadtteil vor vielen Problemen. Bürgerschaftliches Engagement ist gefragter denn je.

Grau und Grün: Will man die wechselvolle Geschichte des Stadtteils Altenessen auf einen einfachen Nenner bringen, bedient man sich am besten eines simplen Zweifarbenspiels. Doch von der ehemaligen Ansammlung von Bauernhöfen „Aldenessende“ hin zu einer der düstersten Ecken des Ruhrgebiets und zurück zur Grünen 14 mit vielen Naherholungsparzellen und zur „magischen“ Schurenbachhalde war es ein weiter Weg. Mitgeholfen haben im ehemals gebeutelten und dann kurierten Stadtteil die Bürger. Doch so ganz gesund ist der Patient heute nicht. Und das bürgerschaftliche Engagement der Vortage auch nicht in Sicht.

Vergangenheit, Vorvergangenheit und Gegenwart treffen aufeinander

„Wir mussten damals einfach etwas tun. Sonst hätte uns Hoesch die ganzen Häuser abgerissen.“ Werner Bussick ist so einer, der damals den Mund aufgemacht hat. Damals, das war in der Zeit zwischen den frühen und den späten 1970er Jahren. Er blickt auf sein Zechenhäuschen an der Straße Leseband im Nordosten Altenessens. „Ich wohne seit meiner Geburt im Jahr 1938 in dieser Siedlung. Wir wollten damals alle nicht weg“, erinnert sich der heute 72-Jährige. Hier direkt an der Grenze nach Katernberg treffen Vergangenheit, Vorvergangenheit und die Gegenwart aufeinander.

„Dort drüben stand das Barkhof-Gehöft“, erzählt er und deutet auf eine Grünanlage mit Hundesportplatz und Kleingärten. Als einer der letzten großen Höfe, nach denen die Siedlung benannt wurde, 1964 abgerissen wurde, war die alte Landwirtschaft schon nichts mehr weiter als Teil einer längst vergangenen, grünen Vergangenheit.

„Gesehen“ hatte der Hof andere Tage. Die Emscher floss noch mit vielen Windungen, die Viehofer Mark war locker bewaldetes Land und an der Berne standen Windmühlen. Doch dann begann das graue Zeitalter der Kohle.

1847 wurde die Köln-Mindener Bahn eröffnet, zwei Jahre zuvor an der heutigen Kreuzung Gladbecker Straße/Krablerstraße der erste Schacht abgeteuft.Wie Pilze schossen die Zechen aus dem Boden. Bald wurde das Gebiet vom Gleisnetz zerschnitten. Zwischen 1822 und 1910 wuchs die Einwohnerzahl von 682 auf knapp über 40 000. Die mussten untergebracht werden. „Unser Haus wurde erst 1906 gebaut, die übrigen hier ab 1890“, berichtet Werner Bussick, der Mitte der 1980er Jahre den Geschichtskreis Altenessen mitbegründet hat.

Auch sein Vater war Bergmann. Sohn Werner wählte für sich eine andere Profession und ging in die Möbelbranche. Das war auch gut so. 1973 war so etwas wie ein Nullpunkt erreicht. Mit der Fördereinstellung auf Emil-Fritz fiel der Deckel auf die letzte Schachtanlage im Raum Altenessen. Eine der Hauptzugmaschinen der ehemals größten Bergbaustadt Europas stand still und hinterließ nichts als alte Gebäude, verwitterte Brachen, ausgediente Bahntrassen und graue Bettwäsche auf den Leinen.

„Fünf Jahre haben wir gekämpft, dann konnten wir endlich kaufen“, blickt Werner Bussick zurück auf eine der ersten Bürgerinitiativen zur Rettung des Industrie-Nachlasses im Ruhrgebiet. Zu verdenken war es den Anwohnern nicht. Richtig grün wird es ein paar Minuten zu Fuß weiter, an Werner Bussicks Lieblingsplatz.

„Früher war hier nichts außer Sumpfland“

An Emscher und Rhein-Herne-Kanal wächst die Schurenbachhalde 86 Meter in die Höhe. „Früher war hier nichts außer Sumpfland“, erinnert sich Werner Bussick an seine Zeiten als Halbstarker. „Na ja, fast nichts“, wirft er ein. Fast nichts ist ein Fußballstadion, das Nordsternstadion von Altenessen 12. Nach dem Abriss in den 1950er Jahren wurde das Areal Materialabladeplatz. Die größte Menge steuerte die Verbundzeche Zollverein/Nordstern bei.

„Nachdem 1998 die Bramme von Richard Serra aufgestellt wurde, wurde der Berg weltweit ein Begriff. Hier habe ich auch schon eine Gruppe Damen aus New York hochstöckeln sehen. Das ist doch phänomenal“, begeistert sich Bussick. 1986 fasste die Deutsche Ruhrkohle AG den Beschluss, die Halde zum Zauberberg zu machen. Mittlerweile war der Zeitgeist grüner und das Projekt „Schöner Norden“ hatte schon an vielen Stellen Früchte getragen.

Mit ihrem „Waldpark Schurenbach“ mit 250 000 Bäumen und Setzlingen und einer großen Aufschüttungsaktion für 150 Millionen Mark, war die RAG eher ein Nachzügler. Schon zwölf Jahre zuvor hatte der Stadtrat den Beschluss gefasst, den gesamten grauen Norden zu durchgrünen. Werner Bussick lässt die Blicke über die Landschaft schweifen. Das Projekt „Grüne 14“ hat dem Ortsteil mehr als gut getan. Vom damals neu angelegten Park hinter der Zeche Carl an, reiht sich mit Kleingärten, dem Bürgerpark an der Kuhlhoffstraße und zahlreichen Naturstücken ein Grünbereich an den nächsten. „Ist doch richtig schön geworden, oder?“ fragt Werner Bussick und grinst.

Unvollständig wäre ein Ausflug mit dem Rentner in den Naherholungsbereich Altenessen ohne einen Abstecher zur „Kumpel-Riviera“, wie er das Ufer des Rhein-Herne-Kanals nennt. „Hier waren wir früher schwimmen, bevor das Nordbad gebaut wurde“, schaut Bussick zurück.

Nein, von der damaligen Eisenbahnbrücke, sei er nie gesprungen. Die ist heute, wie der größte Teil des alten Schienennetzes, für Radfahrer und Spaziergänger hergerichtet. Auch in Sachen Infrastruktur hat sich eine Menge getan.

Das Entwicklungskonzept Altenessen 1979 war der erste Schritt

Doch nicht nur in den Randbezirken. „Hier sieht man es deutlich“, sagt Werner Bussick und deutet auf die Wilhelm-Nieswandt-Allee zu seinen Füßen. Mittlerweile haben wir uns zur Mitte des Stadtteils aufgemacht und stehen auf der Brücke, die den Bereich Einkaufszentrum mit der Zeche Carl verbindet. Sehen jedoch kann man nicht viel. „Das ist es ja. Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, dass hier bis 1987 einmal die Gleise des Rangierbahnhofs Rheinisch verlaufen sind“, erklärt Bussick und schaut in Richtung „Stauderkreisel“ nach Süden.

Mit dem Entwicklungskonzept Altenessen 1979 wurde der erste Schritt getan, dem Stadtteil der 1000 Bahnübergänge mit neuer Umgehungsstraße, der Wilhelm-Nieswandt-Allee, U-Bahn-Anbindung und einer zentralen gepflasterten Altenessener Straße am Allee-Center vorbei als Einkaufsstraße ein neues Gesicht zu verpassen.

Doch kam in Altenessen noch viel mehr in Verbindung. Werner Bussick schaut hinüber zur Zeche Carl. „Hier haben wir das Forum Altenessen gegründet, das sich in die Gestaltung aktiv eingemischt hat“, berichtet er. Das Projekt Nummer 064 der Internationalen Bauausstellung aus dem Jahr 1988 stieß viele Ideen an. Ein Medienhaus im Malakowturm, die Altenessener Handwerkerinitiative oder eine stadtteilbezogene Gesundheitsvorsorge mit Marienhospital und AOK. Bürgerengangement wurde nicht nur in der Barkhofsiedlung in diesen Zeiten großgeschrieben.

Das hatte zum Ende der 1980er Jahre im neuen soziokulturellen Zentrum Zeche Carl schon Tradition. Zehn Jahre zuvor, als die Anwohner der Barkhofsiedlung ihren Kampf um die Häuschen gewonnen hatten, brachte der bürgerbewegte Pfarrer Willi Overbeck das Stadt-Establishment mit seinem „Projekt Carl“ ganz schön durcheinander. Schlief das ausgediente Gemäuer als Lager für einen örtlichen Möbelhändler im Dornröschenschlaf vor sich hin, küssten Overbeck und zahlreiche Unterstützer die alte Industrieanlage wieder wach. Mit Jugendlichen und vielen Helfern aus dem Stadtteil kloppte er Jahre lang Steine auf dem Gelände. Dass er damit in der Stadt Vorreiter eines Trends wurde, der bis zur Vergabe des Titels „Kulturhauptstadt 2010“ reichen würde, konnte er damals nicht wissen. Also alles im grünen Bereich in Altenessen?

Leider nein. Der Traum der Soziokultur war auf Carl spätestens mit der Pleite 2008 ausgeträumt. Auch im Stadtteil fehlt das Geld. Arm, bunt, kinderreich: So könnte man Altenessen 2010 charakterisieren. Die sozialen Probleme sind durch Arbeitslosigkeit und eine hohe Migrantenrate eher größer geworden, Tendenz steigend. Bürgerschaftliches Engagement wie in bewegten Tagen ist nicht mehr in Mode, der Niedergang der Zeche symptomatisch. Nach Initiativlern wie Werner Bussick oder Machern wie Willi Overbeck muss man heute lange suchen. Eine Hoffnung ist mit dem Neustart der Zeche Carl unter frischer Führung verknüpft. Ein Ort für die Bürger zum Mitreden soll das Haus wieder werden. Der Stadtteil hätte es nötiger denn je. Damit aus Grün nicht wieder Grau wird. Im übertragenen Sinne, versteht sich.