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Bernd und Hilla Bechers Fotografien im Quadrat Bottrop

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Die Doppelbockfördertürme haben Bernd und Hilla Becher fotografiert und zu einer „Typologie“ zusammengestellt: „Bernd und Hilla Becher, Fördertürme/Winding Towers/Chevalements, 1965-96“ sind im Quadrat Bottrop zu sehen.
Die Doppelbockfördertürme haben Bernd und Hilla Becher fotografiert und zu einer „Typologie“ zusammengestellt: „Bernd und Hilla Becher, Fördertürme/Winding Towers/Chevalements, 1965-96“ sind im Quadrat Bottrop zu sehen. © Foto: © Estate Bernd & Hilla Becher, Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – Becher Archiv, Köln, 2018

Bottrop - Es ist ein Tableau der Industriegeschichte. 15 Doppelbockfördertürme haben Bernd und Hilla Becher zwischen 1965 und 1996 fotografiert. Jedes Bild dokumentiert den Gerüstbau als singuläre Architektur.

So erhaben und kraftvoll die Fördertürme aussehen, so schnell relativiert sich ihr Nimbus, wenn sie zum Vergleich stehen und deutlich wird, dass dieser Bautyp ein Massenprofil der Industriegeschichte war – mit interessanten Varianten.

In Bottrop ist der Vergleich möglich. Die Ausstellung „Bernd und Hilla Becher. Bergwerke“ konzentriert sich vor allem auf Fördertürme, die die Bechers neben Hochöfen, Kühltürmen, Fabrikhallen, Kohlebunkern, Gasometern, Kieswerken und Getreidesilos fotografiert haben. 

Aus dem Förderturm der Zeche Zollverein (1973 fotografiert, untere Reihe, 2. von links) ist mittlerweile ein Weltkulturerbe in Essen geworden. Das mächtige Gerüst der Zeche Hannover 3/6 (1972, obere Reihe, 1. von links) ist verschwunden, nur der Malakowturm (von 1857) dahinter steht noch in Bochum als Industriemuseum. Die Fotografien belegen, dass Eisenfachwerk neben Zollverein in Essen auch bei der Zeche Germania in Dortmund (1971, untere Reihe 3. von links) und beim Fördergebäude der Zeche Graf Bismarck (1967, untere Reihe, 2. von rechts) in Gelsenkirchen verwendet wurde. 

Das Fördergerüst Germania steht heute in Bochum als Wahrzeichen des Deutschen Bergbau-Museums. Zur Zechengeschichte gehört, dass Fördertürme ab- und wieder aufgebaut wurden. Aber Geschichten vom Niedergang der Zechen erzählt die Ausstellung nicht.

Hochofen "hören, sehen und riechen"

Bernd Becher (1931–2007) griff in den 50er Jahren zur Fotokamera, um Motive festzuhalten, die er zeichnen wollte. In Siegen geboren, studierte Becher Grafik und Typografie in Stuttgart. Als die Grube Eisenhardt bei Siegen 1957 abgebaut wurde, fotografierte Becher die Anlage. 

Er kam mit dem Zeichnen nicht mehr nach, so schnell vollzog sich der Wandel. Von seinem Elternhaus aus konnte Becher einen Hochofen „hören, sehen und riechen“. 

Sein Interesse an Industriekultur teilte auch Hilla Wobeser (1934–2015), die in Potsdam eine Fotolehre abgeschlossen hatte. Sie brachte die fotografische Praxis in die gemeinsame Arbeit ein. Ihre kollektive Autorenschaft sollte der künstlerischen Fotografie in den 60/70er Jahren wichtige Impulse geben. 1976 wurde Bernd Becher Professor für Fotografie an der Kunstakademie in Düsseldorf. Zu seinen Studenten zählten Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth, Axel Hütte, Candida Höfer...

Einmaliges fotografisches Langzeitprojekt

Bernd und Hilla Becher entwickelten ein einmaliges fotografisches Langzeitprojekt. Über fünf Jahrzehnte hielten sie Industrieanlagen mit der Plattenkamera fest. Anfangs waren ihre Fotografien praktizierter Denkmalschutz. Wer den Fundus an Fotografien zu Fördertürmen in Bottrop sieht, bekommt eine Ahnung davon, wie umfangreich ihr Gesamtarchiv ist. Rund 300 Fotografien sind im „Quadrat“ ausgestellt.

Die Typologien, so nennen die Bechers ihre Tableaus, schaffen eine neue Aufmerksamkeit für Industriebauten. Die naturwissenschaftliche Systematik hebt auf Formen, Material und Konstruktion ab. Ein Verfahren, das eine spezifische Strukturästhetik erst sichtbar macht.

Die Bechers fotografierten die Förderköpfe, den gesamten Förderturm im Aufriss und den Förderturm in einer diagonalen Ansicht. So findet sich die Grube Anna (Alsdorf, Aachen 1979 und 1983) in zwei verschiedenen Typologien wieder. Zwei Fördertürme der Zeche Radbod (Hamm 1982) finden sich sogar in einer Typologie. Vielleicht liegt es daran, dass die Zeche zeitweise drei Fördertürme in Betrieb hatte. Heute stehen sie unter Denkmalschutz.

Zeche Zollern II/IV vor dem Abriss bewahrt

Erst in den 70/80er Jahren entwickelte sich ein gesellschaftliches Verständnis für Industriekultur, das neben der Sozialgeschichte vor allem im Ruhrgebiet identitätsstiftend wurde. Bernd und Hilla Becher halfen, die Zeche Zollern II/IV in Dortmund vor dem Abriss zu bewahren – heute ein Industriemuseum („Schloss der Arbeit“).

Die Bechers hatten Standards für ihre Sachfotografie festgelegt. Die Bauten sind in abgestuften Grautönen zu sehen. Harte Kontraste und Schatten vermieden sie. Mit diffusem Licht vor gleichmäßig getöntem Himmel ließen sich die Motive am besten vergleichen. Dies war die visuelle Grundlage für ihre Industriearchäologie. So sind in Bottrop Typologien mit geschlossenen Fördergerüsten zu sehen, wie Zeche Minister Stein, Dortmund-Eving 1980, Zeche Heinrich-Robert, Hamm-Herringen 1987 und weitere Beispiele aus Manchester oder Fischbach im Saarland. Bei den Förderköpfen zeigt sich, dass Beispiele aus Frankreich mit Spitz- und Satteldächern versehen waren. Sogar Jugendstil-Zierrat lässt sich erkennen. Die Gebäude unterhalb der Fördergerüste waren in Belgien und Frankreich oft groß und mehrgeschossig. Eine Fassade wirkt sogar repräsentativ („Punitz Lens no. 12, Nord, Frankreich, 1974“). Die Beispiele wirken weniger standardisiert als im Ruhrgebiet.

Fotografien aus Großbritanien erstaunen. Die Ständerbeine der Anlagen sind einfach. Wenn die Gerüste unsymetrisch ausfallen, erinnern sie gar an Insekten. Morton Colliery, Derbyshire, 1974 ist ein Beispiel dafür. Das Fördergerüst „Fosse Grenay no. 11, Grenay, Nord, Frankreich“ scheint dagegen die Schwerkraft auszuhebeln, so kühn ist es konstruiert. Die beiden Seilscheiben schweben irgendwie.

Wer sich die Typologien genau aussieht, entwickelt ein Verständnis für Vielfalt. Förderanlagen aus Großbritanien erscheinen simpel und futuristisch. „Cwmeynon Colliery, Mountainash, South Wales, 1966“ zählt dazu. Mitunter sind es bizarre technoide Figuren aus einer anderen Zeit, wie in Glenrhondda Colliery, Treherbert, South Wales, 1966. Oder ist ihr Anblick nur ungewohnt?

Die Ausstellung „Bernd und Hilla Becher. Bergwerke“ erstaunt. Fördergerüste aus Brettern und Stangen gehören zu illegalen Minen in den USA. Zu sehen ist ein Materialchaos über dem Grabungsloch – der Wilde Westen des Bergbaus („Bearvalley, Schuylkill County, PA, USA, 1975). Außerdem haben die Bechers Gebäudekomplexe um Förderstätten herum in den Staaten fotografiert („Blue Creek No. 3, Adger Alabama, USA, 1983“). Diese gestaffelten Bauten und mehrteiligen Anlagen erinnern an den Kulissenbau für Fantasie- oder Horrorfilme in Hollywood. Haben diese Industriebauten wirklich mal funktioniert?

Mit einigen singulären Fotografien von Industrielandschaften soll die Ausstellung daran erinnern, dass mit der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop 2018 die Steinkohlenförderung endet. Das Ruhrgebiet hat sich verändert. Die Aufnahme „Zeche Consolidation, Gelsenkirchen 1974“ zeigt noch eine zweigeteilte Stadt, als die Schienen zum Bergwerk führten und die Straße von Zechenhäusern gesäumt war. Drei Fördertürme sind auf der Fotografie zu erkennen. Ihre unterschiedliche Bauweise fällt auf, nachdem man die Typologien der Bechers gesehen hat.

Die Schau

Fördertürme als Beispiel für stilbildende Konzeptfotografie, für Industriearchäologie und als Impuls der Düsseldorfer Fotoschule.

Bernd und Hilla Becker. Bergbau im Quadrat Bottrop. Bis 23.9.; di-sa 11–17 Uhr, so 10–17 Uhr; Tel. 02041/29716

www.bottrop.de/mq

Die Ausstellung zählt zur Reihe Kunst und Kohle, die von 17 RuhrKunstMuseen organisiert wurde. Die Institute reagieren auf das Ende des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet.

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